Samstag, 6. Oktober 2012

Der Kampf der Jahrtausende (Teil 8)



»Nach dem Zerfall des Sowjetimperiums und dem Ende einer gesellschaftspolitisch begriffenen Polarisierung der Welt werden Konflikte zunehmend unter kulturellen Gesichtspunkten definiert – als der Zusammenprall von Völkern und Kulturen, die in ihrem Selbstverständnis durch den traditionellen Gegensatz der Weltreligionen geprägt sind.«
Jürgen Habermas, deutscher Philosoph, 1995[1]

8. Die Megatrends

Der 11. September markiert nicht nur den Wendepunkt zwischen zwei Jahrhunderten, sondern auch zwei Jahrtausenden. Zwei große, hochkomplexe Megatrends, die seit zehn Jahrhunderten die Weltgeschichte durchzogen,  prallten an diesem 11. September aufeinander.

Trend 1: Die Sakularisierung

Im Westen hatte sich in den letzten zehn Jahrhunderten der »Wandel von religiösen zu mehr materialistischen Kulturen vollzogen«. So schrieb vor 30 Jahren, 1972, der Zukunftsforscher Herman Kahn in seinem Buch »Angriff auf die Zukunft«. Den größten Wendepunkt dahin lieferte vor einem halben Jahrhundert die Reformation, mit der der Glaube privatisiert wurde. Er wurde zu einer Frage des persönlichen Gewissens. Staat und Wirtschaft emanzipierten sich. Die Verweltlichung begann. Mit dem Westfälischen Frieden setzte sich das Prinzip der staatlichen Souveränität durch. Die industrielle Revolution entfaltete die überwältigenden Kräfte der Naturwissenschaften. Schließlich wurde das Gottesgnadentum durch die Demokratie abgelöst. Vor allem aber übernahm nach dem Ende der Sowjetunion der Markt mehr und mehr die Rolle des Koordinators. Die letzte große ideologische Auseinandersetzung zwischen Plan- und Marktwirtschaft, dieser Kampf der Systeme, war 1989 entschieden.
Im Zuge dieses Trends synchronisierte sich die Welt in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu einer globalen, friktionslosen, vernetzten Wirtschaft. Alle Grenzen wurden durch das Internet untertunnelt. Alles schien plötzlich machbar.
Erinnern wir uns: Keine zehn Jahre ist es her, dass das Internet noch als antikapitalistisch von Männern wie Bill Gates geächtet worden war. Plötzlich aber war es der Weg in die Zukunft. Ohne auch nur zu Stolpern nahmen wir die letzte, große Zeithürde, das Jahr-2000-Problem. Alle Maschinen blieben im Zeittakt. Das Netz hielt. Wir hatten die Komplexität im Griff. Die Zukunft konnte kommen. Sie hatte freie Bahn. Wir waren bereit. Ein Triumphzug der Technologie und der Effizienz. Vordergründig hatte das materialistische, kapitalistische System auf breiter Front gesiegt. Es würde nun alles an sich reißen.
Das kann nicht gut gehen. Das weiß jeder.

Trend 2: Ideationelle Kulturen

Der andere Megatrend wird bestimmt von den »ideationellen Kulturen, die von jenseitigen Idealen motiviert sind.«[2] So Kahn. Dafür steht vor allem der Islam. Dessen Schrift, der Koran, wurde nicht wie die Bibel von weltlichen Autoren verfasst. Der Koran wurde von Gott selbst vor bald 14 Jahrhunderten dem Propheten Mohammed diktiert. Wie Jesus verstand sich Mohammed als ein »Mann, der Gottes Wille verkörpere«. So der britische Historiker Arnold Toynbee. Doch im Gegensatz zu dem Begründer des Christentums, der sich nicht als ein politischer Rebell verstand und seine Landsleute gegen die Römer mobilisierte (ein ohnehin sinnloses Unterfangen), verstand der mitunter sehr rabiat vorgehende Mohammed »die Verknüpfung der Religion mit Krieg und Politik.« (Toynbee) [3] Der Glaube war das höchste Prinzip. Er liefert die Superstruktur über allem. Dabei war er durchaus tolerant. Bernard Lewis, ein renommierter Historiker und exzellenter Kenner des Islam, berichtet, dass in der Geschichte religiöse Minderheiten unter muslimischer Herrschaft weitaus besser behandelt wurden als unter christlichen Regierungen.[4]
Doch 1992 warnte M.J. Akbar, indischer Schriftsteller und Berater der Regierung seines Landes: »Die nächste Konfrontation geht definitiv von der muslimischen Welt aus.« Mohammed El-Jabry, ein marokkanischer Gelehrter, diagnostizierte im selben Jahr: »Wir Muslime leben heute in der kulturellen Epoche des 14. Jahrhunderts. Wir brauchen einen Descartes, einen Roger Bacon, einen Ibn Chaldun**, einen Karl Popper.« Vor 500 Jahren ächteten ottomanische Sultane den Einsatz des Buchdrucks. 235 Jahre lang war Gutenberg verpönt. Saddam Hussein verbat in den siebziger und achtziger Jahren die Nutzung von Schreibmaschinen.[5] Ein Glaube, der auf Gottes Wort basierte, untersagte sich der Instrumente, die dessen Verbreitung doch eigentlich beschleunigen sollten.

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[1] Die Zeit, 8.12.1995, Jürgen Habermas: »Wahrheit und Wahrhaftigkeit«
[2] Hermann Kahn, München 1972: »Angriff auf die Zukunft«
[3] Arnold Toynbee, Düsseldorf 1979: »Menschheit und Mutter Erde«
[4] Newsweek, October 15, 2001, Fareed Zakaria: »The Roots of Rage«
** Ibn Chaldun war ein islamischer Historiker des 13. Jahrhunderts
[5] Newsweek, April 2, 2001, Christopher Dickey: »Nibbling at the net«

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