Mittwoch, 16. Mai 2012

Teil VI: Das Projekt Taurus - Unmöglichkeit von Superprojekten

Was Bürokraten auf keinen Fall wollen, ist eine unregulierte Welt. Innovationen aber zielen zumeist genau darauf. Jeder, der in Zeiten der Unsicherheit etwas Neues versucht, muss damit rechnen, dass sein Innovations Engagement aus der Sicht des Un Rechts betrachtet und gewertet wird. Diese Dissonanz kann nur gemildert werden, wenn eine Neuerung eine codifizierte Basis erhält, also sich auf nie-dergeschriebenem Recht gründet.
Bürokraten wollen kei¬ne Quantensprünge. Sie wollen Zwischenschritte, die indes auch stets den Hantierungsauf¬wand erhöhen und damit der Expansion bürokratischer Tätigkeiten Vorschub leisten. Der Fortschritt ist eine ins Unendliche hochgetaktete Schnecke. Jede Änderung wird deshalb solange bearbeitet, bis sie zur Schnecke ge¬macht worden ist. Das Problem heißt also: Superprojekte wollen den Status Quo überwinden, werden aber erbarmungslos immer wieder auf ihn zurückge¬worfen.
Rechtslücke. Das Beispiel Taurus zeigt, dass dieses Dilemma kaum zu lösen ist. Es wurde zu einem Zeitpunkt aufgesetzt, als es ein neues Recht, das die Abrechnung betraf oder zumindest tangierte, noch nicht gab. So war zum Beispiel allen klar gewesen, dass die Umstellung auf die elektronische Abrechnung in Großbritannien direkte Auswirkungen auf das Firmenrecht haben würde. Es musste entsprechend geändert werden. Im Prinzip hätte Taurus erst auf¬gesetzt werden können, nachdem dieses Recht erlassen worden war. Andererseits musste der Gesetzgeber erst wissen, was Taurus wollte, um eine entsprechende rechtliche Basis schaffen zu können. Eine klassische Pattsituation also, die die LSE damit zu lö¬sen suchte, dass sie die Entwicklung von Taurus ganz einfach startete. Damit geriet es in einen gleichsam rechtlosen Zustand. Die Parteien innerhalb der City hatten jetzt freie Hand ihre divergierenden Ansprüche anzumelden. Und mit deren Auftauchen würde automatisch Regulierungsbedarf kreiert. Je mehr, desto besser.
Schon war die Regierung im Geschäft. Sie sah im Umfeld von Taurus einen immensen Regulierungsbedarf. Er quoll aus allen Ecken. Ihr ging es vor allem um den Schutz der zehn Millionen privaten Aktionäre, für die neue Vorschriften entwickelt werden mussten.
Beim Superprojekt Taurus sollten also nicht nur die Interessen der Profis an der Börse, sondern auch der Amateure, der kleinen Leute, gewahrt werden. Das brachte das Projekt voll in den Widerstreit
- zwischen den Großbanken und Managern von mächtigen Fonds, die Taurus als ein Instrument verstanden wissen woll¬ten, mit de¬nen sie ihr auf große Transaktionen ausgelegtes Engagement an der Börse möglichst freizügig ausweiten konnten,
- und den Aktionärsschützer, die gegenüber den Großinvestoren vor allem die Interessen der Kleinanleger wahren wollten.
Hinzu kamen die Einwürfe der einzelnen Berufsgruppen, die sich in den vergangenen 220 Jahren auf dem ständisch strukturierten Finanzplatz breitgemacht hatten. So war das Projekt ständig hin und her ge¬rissen worden zwischen den Interessen der einzelnen Zielgruppen. Es stand kein Gemein¬schafts¬wille dahinter, sondern nur Zank & Streit.
Unmöglichkeit von Superprojekten. Damit wurde ein Punkt adressiert, der die Unmöglichkeit von Super¬projekten in den neunziger Jahren sehr schön deutlich machte: Darauf ausgerichtet, zwischen gleichberechtigten Marktteilnehmern informationstechnische Strukturen aufzubauen, sind sie in einem herausragenden Maße auf externe Akzeptanz angewiesen. Da solche Superprojekte bestehende Abläufe & Gewohnheiten verändern und aufheben, liegt ihr Wirkungskreis in einer Sphäre der Ungewissheit. Sie sind auf das Neue ausgerichtet, bei dem die Bindungen und Verbindungen sich noch nicht etabliert haben. Dies erzeugt eine kognitive Dissonanz, die dadurch abgebaut wird, dass man den Neuerungsprozess durch das Einbringen von immer mehr Vorschlägen & Bedenken verlangsamt. Man könnte sagen: Superprojekte sind jene Unterfangen, in die in einem schleichenden Prozess zu viel hineinprojiziert wird und deshalb scheitern. Dabei ist es egal, ob es sich um Hoffnungen oder Ängste handelt. Und weiter: diese Projektionen lassen sich kaum steuern oder vorausahnen. Sie tauchen plötzlich & unverhofft aus dem Strom der Ereignisse auf.
So war die City seit 1991 durch einige Finanzskandale mächtig ins Gerede gekommen. Das war der Grund, weshalb sich zum Beispiel die britische Regierung unter Premierminister John Major in der Endphase des Taurus Projektes für Interessen der Kleinak¬tionäre einsetzte. Denn sie sah dahinter Wähler mit eher konser¬vativer Grundstimmung. Sie rekrutieren sich aus dem Mittelstand, dem natür¬lichen Reservat einer konservativen Regierung. Angesichts des Zusammenbruchs der Maxwell Communication Corp., des skandalumwitterten Presseimperiums, der Affären um Olympia & York, der BCCI und Polly Peck waren die Kleinanleger höchst sensibilisiert. Vor allem der Verleger Maxwell hatte auf gefährliche Weise Schindluder mit dem Großkapital der kleinen Leute, den Pensionsfonds, getrieben, die an allen Börsen der Welt mehr und mehr die Aktienmärkte beherrschten. So war es kein Wun¬der, dass das Wirtschaftsministerium Taurus mit Argus Augen betrachtete, weil es in ihm ein Instrumentarium sah, das vor allem den Zielen der Großanleger diente. Aktionärsschützer stimmten in dieses Misstrauen mit ein. Eine strenge Regulierung war also angesagt. Und wenn die Exekutive mit neuen Bestimmung eingreift, dann kostet dies zuerst einmal Zeit vor allem dann, wenn diese Erlasse auch noch einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Das Wirtschaftsministerium, das für den Entwurf der Gesetzesvorlagen und Bestimmungen im Umfeld von Taurus verantwortlich war, zögerte und zauderte mit der Einbringung der Vorschläge in das Unterhaus. Es tat sich wichtig. Das erboste die City, die nun eine Überregulierung befürchtete. John Redwood, bis April 1992 ehrgeiziger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, wurde besonders für diese Hinhaltetaktik bei der Formulierung der Bestimmungen verantwortlich gemacht. Statt einer Deregulierung der Börsengepflogenheiten, auf die Taurus im ersten Ansatz angelegt gewesen war, betrieb der smarte Politiker nun das exakte Gegenteil: eine Re Regulierung.
Sein Beharrungsvermögen qualifizierte ihn in den Augen des inzwischen höchst unpopulären John Major für höhere Positionen. Er wurde eine Art Ministerpräsident von Wales und in dieser Funktion nach der Regierungsumbildung im Mai 1993 ins Kabinett berufen. Aber auch nach Redwoods Ausscheiden verbesserte sich nicht viel. Ja, ein gesondertes Handbuch für Taurus User sollte entstehen. Darauf hatten jetzt die Aktionärs Schützer bestanden. Und was immer die Forderung war, die die Bürokraten sich ausdachten, auf jeden Fall musste das, was auf dem Papier stand, immer noch technisch umgesetzt werden. Damit wäre das Team vielleicht noch fertig geworden, wenn nicht schon vorher in den nahestehenden Börsenkreisen das Projekt mit immer neuen Forderungen torpediert worden wäre.
Eskalation der Forderungen. Wenn viele Interessensgruppen, die zudem in Konkurrenz zueinander stehen, in ein Projekt involviert sind, dann besteht immer die Gefahr, dass einer anfängt die Forderungen zu erhöhen oder neue Bedenken einzubringen. Prompt erzeugt dies einen Nachahmungseffekt. Aus Angst, wohlmöglich zu kurz zu kommen, eilen dann rasch aus allen Richtungen weitere Lobbyisten & Bürokraten herbei, um ebenfalls eifrig Nachbesserungen einzubringen. So ist das bei firmeninternen Projekten, und so ist es erst recht, wenn es um Gemeinschaftsaufgaben zwischen mehreren Unternehmen geht. Bei Taurus wurde es für die Öffentlichkeit aktenkundig.
Die dritte Lektion aus der Geschichte: Superprojekte laufen erstens anders und zweitens anders als man denkt. Am besten sollte man deshalb überhaupt nicht an Superprojekte denken es sei denn: man hat keine Alternative.
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